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Wer hat Patrice Lumumba getötet?

Wer hat Patrice Lumumba getötet?

Am 8. August 1960 überreichte König Mohammed V. von Marokko dem Premierminister des Kongo, Patrice Lumumba, während seines offiziellen Besuchs in Marokko den Großen Kordon des Ordens des Throns.

Patrice Lumumba, der heute vor hundert Jahren geboren wurde, war der erste demokratisch gewählte Premierminister der Republik Kongo, Politiker und nationaler Held. Und er war Vater: Seine Kinder kämpfen noch immer darum, Licht in seine Ermordung zu bringen.

Juliana Lumumba wird seit über 60 Jahren von Fragen verfolgt: Wer hat ihren Vater getötet, wie halfen die Amerikaner bei dem Attentat, was taten die Vereinten Nationen? Haben sie nur zugesehen, obwohl er unter ihrem Schutz stand? Das sind unangenehme politische Fragen. Und Juliana wird nicht ruhen, bis sie Antworten erhält, schreibt Deutsche Welle.

„Man kann nicht die Tochter von Patrice Lumumba sein, ohne dass das das eigene Leben bestimmt“, sagt sie. Ihr Blick ist ruhig. Sie schaut nicht in die Kamera, sondern zur Seite, mit leicht erhobenem Kinn. Sie blickt aus dem Fenster ihres Hauses in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo.

Am 17. Juni dieses Jahres wurde der Mord an ihrem Vater aus dem Jahr 1961 in Brüssel erneut behandelt. Es ist klar, dass Belgien eine Mitschuld trägt: Eine parlamentarische Untersuchung aus dem Jahr 2001 ergab, dass der damalige belgische König Baudouin von den Attentatsplänen wusste und nichts unternahm, um sie zu verhindern.

Doch das ist nicht alles. Julianas Bruder François, ein Staatsanwalt, beschuldigt den belgischen Staat nicht nur wegen Kriegsverbrechen und Folter, sondern auch wegen einer Verschwörung zur politischen und physischen Eliminierung ihres Vaters.

Lumumba kämpfte für die Unabhängigkeit des Kongo

Patrice Lumumba befreite den Kongo am 30. Juni 1960 von der belgischen Kolonialherrschaft und wurde der erste Premierminister des Landes. Er versprach Demokratie, Wohlstand und ein Ende der Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch ausländische Mächte. Doch das wurde nie Wirklichkeit.

Der Westen – insbesondere Belgien und die Vereinigten Staaten – missbilligte Lumumbas Pläne zur Nationalisierung der Rohstoffe des Kongo. Und im Kalten Krieg missfiel ihnen besonders sein enger Kontakt zur Sowjetunion.

Am 17. Januar 1961, sechs Monate nach Lumumbas Wahl zum Premierminister des freien Kongo, brachten Separatisten ihn mit Unterstützung Belgiens und der USA in die feindliche Provinz Katanga. Dort wurden er und zwei enge Vertraute auf Befehl belgischer Offiziere erschossen. Die Details kamen erst durch Untersuchungen wie die des belgischen Soziologen Ludo De Witte in seinem Buch „Der Mord an Lumumba“ ans Licht.

Ein anderer belgischer Offizier, Gérard Soete, zerstückelte die Leichen und löste sie in Säure auf. Von Lumumba blieben nur zwei Zähne übrig. Soete behielt sie als Trophäen. Juliana Lumumba erfuhr davon durch eine ARD-Reportage im Jahr 2000, in der Soete selbst die Details erzählte und die Zähne vor der Kamera zeigte. Eine schreckliche Erinnerung, die Juliana bis heute wütend macht.

„Wie würden Sie sich fühlen, wenn man Ihnen sagt, dass Ihr Vater getötet, begraben, exhumiert, zerstückelt und dass Teile seines Körpers mitgenommen wurden?“, fragt sie. „Für viele war er der erste Premierminister des Kongo, ein Nationalheld. Für mich war er mein Vater.“

Der Sarg des ermordeten Unabhängigkeitshelden Patrice Lumumba wurde am 22. Juni 2022 in seine Heimatregion zurückgebracht – zu einer emotionalen Gedenkfeier und Beisetzung, mehr als sechs Jahrzehnte nach seinem Tod. Ein Flugzeug brachte Lumumbas sterbliche Überreste.

Juliana Lumumba kämpft für die Wahrheit

Jahre später schrieb Juliana einen Brief an den belgischen König und forderte die Rückgabe eines Zahns. Niemand weiß, wo der zweite ist. Soete behauptete, er habe die Zähne in die Nordsee geworfen. Kurz darauf starb er. Später zeigte seine Tochter einem Journalisten einen Goldzahn. Ludo De Witte verklagte sie, und die belgischen Behörden beschlagnahmten den Zahn.

Im Jahr 2022 übergab der damalige belgische Premierminister Alexander De Croo Lumumbas Kindern bei einer Zeremonie in Brüssel einen Zahn und entschuldigte sich – im Gegensatz zu König Philippe, dem direkten Nachfahren von König Baudouin, der offenbar nicht den Mut aufbrachte, sich zu entschuldigen. Er äußerte lediglich sein „tiefstes Bedauern“ über die Gewalt, die der Kongo unter belgischer Herrschaft erlitten hatte.

Doch für Juliana reicht eine Entschuldigung nicht. „Es geht nicht um Ausreden. Es geht um die Wahrheit“, sagt sie.

Kinder im Exil aufgewachsen

Juliana war erst fünf Jahre alt, als ihr Vater getötet wurde. Sie erfuhr es während des Exils in Ägypten. Einige Monate vor dem Attentat wurden sie und ihre Geschwister mit gefälschten Pässen aus dem Haus im Kongo geschmuggelt – ihr Vater stand bereits unter Hausarrest – und nach Kairo gebracht. Patrice Lumumba wusste, dass er sterben würde, sagt Juliana. Das schrieb er auch in seinem letzten Brief an seine Frau.

In Kairo wuchsen Lumumbas Kinder bei Mohamed Abdel Aziz Ishak, einem befreundeten Diplomaten, seiner Frau und deren Kindern auf. Juliana nennt sie Papa Abdel Aziz und Mama Zizi. Sie spricht von einer wundervollen Kindheit: „Wir wuchsen mit viel Liebe und Empathie auf.“

Trotzdem konnten die Kinder ihrer Identität nicht entkommen. „Wir sind eine politische Familie. Wir kamen aus politischen Gründen nach Ägypten, als Gäste von Präsident Nasser. Politik ist das Zentrum unseres Lebens, ob wir wollen oder nicht.“ Kein Wunder, dass auch die Kinder in die Politik gingen. Juliana hatte verschiedene Ministerposten inne, ihr Bruder François ist Vorsitzender der Nationalen Kongobewegung – der Partei, die ihr Vater gegründet hatte.

Juliana war schon als Kind klar, dass das Attentat auf ihren Vater politisch motiviert war. In Kairo lernte sie das von Mama Zizi, die es zuerst dem ältesten Sohn François und dann den übrigen Kindern erzählte. Mama Zizi und Papa Abdel Aziz waren auch diejenigen, die den Lumumba-Kindern ihre Familiengeschichte näherbrachten.

Schuld, Anerkennung und koloniale Kontinuität

Erst 1994, als Mobutus Diktatur kurz vor dem Zusammenbruch stand, kehrte Juliana in den Kongo zurück. Ihr Vater hatte den Kindern gesagt: „Was auch passiert, ihr müsst nach Hause zurückkehren.“ Als es wieder sicher war, kehrten sie zurück – dorthin, wo sie hingehören.

Heute ist Juliana weniger in der kongolesischen Politik aktiv. Sie möchte sich nicht zur aktuellen Lage im Kongo äußern – zum Konflikt zwischen Armee und M23-Rebellenmiliz oder zur anhaltenden Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch westliche Länder, China, Ruanda und andere Mächte. Auch über das noch laufende Verfahren in Brüssel will sie nicht sprechen. Sie sagt nur: „In den letzten zehn Jahren ist nichts passiert. Elf der zwölf Angeklagten sind gestorben.“

Die Untätigkeit der belgischen Justiz spreche für sich, meint Juliana, wie Deutsche Welle berichtet. Sie habe wenig Hoffnung, dass jemand jemals zur Verantwortung gezogen wird. Der letzte lebende Angeklagte ist über 90 Jahre alt.

Für Juliana ist das eine schwere und frustrierende Erfahrung: „Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen. Kein Belgier, kein Europäer, niemand aus dem Kongo. Kein Weißer, kein Schwarzer. Alle sind sich einig, dass es Mord war. Aber niemand will zugeben, dass er diesen Mord begangen hat.“

Heute, am 2. Juli 2025, wäre Patrice Lumumba hundert Jahre alt geworden.

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