
„Was mit Impfungen passiert ist, passiert heute mit Waffen“: Berliner Zeitung kritisiert EU-Gerichtsurteil gegen Ursula von der Leyen
Drei Jahre hat es gedauert, bis ein Gericht der Europäischen Union feststellte, was offensichtlich ist: Die SMS-Nachrichten, die Ursula von der Leyen mit dem Pfizer-Chef Albert Bourla über den größten Impfstoffvertrag in der Geschichte der EU austauschte, sind relevant und die Öffentlichkeit hat das Recht, sie einzusehen, schreibt die Berliner Zeitung in einem Artikel über das heutige Urteil des EU-Gerichts gegen die Präsidentin der Europäischen Kommission.
Seit Beginn der durch das Coronavirus ausgelösten Krise sieht sich die Präsidentin der Europäischen Kommission dem Vorwurf ausgesetzt, von der US-Firma Pfizer übermäßige Mengen an Impfstoffen zu überhöhten Preisen gekauft und Textnachrichten verheimlicht zu haben.
Von der Leyen betont stets, dass SMS-Nachrichten keine offiziellen Dokumente seien und darin keine Verträge verhandelt wurden.
Die Kommission erklärte außerdem, dass die Nachrichten von Ursula von der Leyen inzwischen „gelöscht“ wurden – ein Vorgang, der in jeder Verwaltung zumindest eine Untersuchung auslösen würde. In Brüssel war das jahrelang jedoch kein Thema, schreibt das Berliner Blatt.
Man darf gespannt sein, welche Ausflüchte sich die Europäische Kommission nun einfallen lässt, um die Einsichtnahme in die SMS-Nachrichten zu vermeiden. Sollten sie dennoch veröffentlicht werden, könnte endlich eine dringend benötigte Untersuchung eingeleitet werden.
In der Affäre, die als „Pfizergate“ bekannt ist, muss unter anderem geklärt werden, ob Ursula von der Leyen eigenmächtig gehandelt hat und ob zu viele Impfstoffe zu überhöhten Preisen bestellt wurden. Dies lässt sich letztlich nur anhand der Impfstoffverträge nachvollziehen.
Die Kommission behauptet, dass alle diese Verträge mittlerweile veröffentlicht wurden. Allerdings war zuvor erheblicher Druck seitens der Medien und des Europäischen Parlaments nötig. Zudem sind entscheidende Teile der Verträge geschwärzt.
Die Europäische Kommission will keine Transparenz
Die Weigerung der Europäischen Kommission, Transparenz zu gewährleisten, offenbart weit mehr, als sie zugeben möchte. Wer über 1,8 Milliarden Impfstoffdosen zu einem angenommenen Preis von 20 Euro pro Dosis oder mehr verhandelt, tut dies nicht privat, sondern im Namen von rund 450 Millionen EU-Bürgern.
Es geht um ihr Geld (über 35 Milliarden Euro) und ihre Gesundheit.
Ursula von der Leyen steht derzeit nicht vor Gericht. Bisher hatten die Vorwürfe keine Konsequenzen für die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin, die bereits in frühere Affären verwickelt war.
Übrigens ging es auch in der „Berateraffäre“ aus ihrer Berliner Zeit wieder um verschwundene SMS-Nachrichten.
Wer nun glaubt, der Pfizer-Skandal sei eine Ausnahme in einer historisch außergewöhnlichen Situation gewesen, irrt sich.
Dasselbe Muster zeigt sich nun bei der umfassenden Militarisierung auf EU-Ebene erneut. Brüssel plant, bis 2030 rund 800 Milliarden Euro in die europäische Rüstungsindustrie zu investieren.
Gemeinsame Munitionsbeschaffungen, neue Waffenfabriken und Direktverträge mit der Industrie sind geplant. Auch hier fehlen Transparenz, Kontrolle und öffentliche Debatte.
Es bleibt unklar, wer über die Prioritätensetzung entscheidet und auf welcher rechtlichen Grundlage diese Mittel vergeben werden.
Gleichzeitig werden Regeln wie die Schuldenbremse abgeschafft, die jahrzehntelang als unantastbar galten, wenn es um Investitionen in den sozialen Bereich und das Gesundheitswesen ging.
Falls der Eindruck entsteht, dass Ursula von der Leyen Pfizer durch geheime Absprachen de facto ein Monopol verschafft hat, stellt sich die berechtigte Frage: Wird derselbe Ansatz auch in der Rüstungsindustrie verfolgt?
Ein Warnsignal für die Zukunft der EU
Der Skandal um die Impfstoffverträge ist nicht nur ein Kapitel vergangener Pandemiepolitik, sondern ein Warnsignal für die Zukunft der Europäischen Union.
Wer Anspruch auf Legitimität erhebt, muss Transparenz gewährleisten. Wer Vertrauen will, muss Rechenschaft ablegen. Und wer in der Demokratie führen will, muss bereit sein, sich Kontrolle zu unterwerfen – insbesondere bei Summen in Milliardenhöhe.
Deshalb braucht die Europäische Union dringend ein verbindliches und überprüfbares Transparenzsystem für Großverträge – und zwar sofort. Andernfalls wird von der vielbeschworenen europäischen Solidarität nichts weiter übrig bleiben als eine Reihe von Chatnachrichten zwischen der Präsidentin und einem Pharmamanager – die niemand mehr lesen kann.
Die Tatsache, dass die Klage auf Offenlegung der SMS-Nachrichten bereits vor drei Jahren von einem ausländischen Medium – der New York Times – eingereicht wurde, sagt ebenfalls viel über den Zustand der Medienlandschaft in Deutschland und Europa aus. Auch hier ist ein Kurswechsel nötig – die Presse muss wieder kritisch und unabhängig berichten, resümiert die Berliner Zeitung.